Das Desaster- Kapitel 2
Geschenke von Oma waren immer die besten gewesen. Ein Eis, das Oma für sie bestellte, war noch besser! "Willst du auch ein Eis, Oma?", fragte Maya, während sie den Löffel tief in ihre Riesenportion Bourbon-Vanille Eis tauchte. "Ich kann gerne für dich bezahlen." "Klar.", erwiderte Oma lässig und grinste ihre ältere Enkelin erwartungsvoll und dankbar an. Sie bekam ebenfalls eine Riesenportion serviert. "Eine Riesenportion! Warum das denn?", dachte Lily enttäuscht und kaum hatte sie angefangen, ihr Fruchteis zu essen, schmeckte es ihr nicht mehr und das einzige was sie noch konnte war, Oma und ihre Cousine voller Wut anzustarren. "Was guckst du mich so böse an? Iss dein Eis!", sagte Maya und stopfte sich den Mund mit ihrem Eis voll. Mürrisch senkte Lily den Blick und spuckte ihr Eis auf die Tischdecke. "Wie ungerecht kann man sein. Diese zwei bösen Frauen essen ein Riesen-Eis und ich habe so eine winzige Portion. Lecker ist es wenigstens. Aber viel zu winzig. Das mache ich nicht mit!" Wenige Minuten später löste das Mädchen einen furchtbaren Streit aus und verschwand beleidigt im angrenzenden Wald. Café- Besucher schüttelten fassungslos ihre Köpfe. "Komm, Mama, wir gehen", sprach Katja und führte die alte Dame aus dem Lokal, gefolgt von Maya, die mit starrem Blick hinter ihnen her marschierte. Lily hatte allen die Laune verdorben. Und das wusste sie ganz genau. Ein lautes Kreischen riss Lily aus ihren Gedanken. Panisch drehte sich um und riss fast ihren Stuhl mit sich mit. Mama stand ihm Türrahmen und sprang verzweifelt von einem Bein aufs andere, ohne Lily anzusehen. "Mist, was kommt jetzt schon wieder!", schoss es Lily durch den Kopf und sie senkte erschrocken den Blick. Mamas Wangen waren rot wie Feuer. Oma verließ keuchend und stöhnend den Raum und rannte in den Garten. "Lily, wir müssen reden", sagte sie mit krächzender Stimme und ehe diese sich zu ihr umdrehen konnte, packte Katja sie am Nacken und zerrte sie aus dem Raum. Was hatte Lily bloß getan? Warum gab es schon wieder Aufruhr? "Hör zu", fing Mama an, als sie sich auf dem alten, staubigen Sofa im Wohnzimmer niedergelassen haben. "Du machst in letzter Zeit ziemlich viel Unsinn. Das tut uns gar nicht gut und du tust das auch noch absichtlich. Nur um uns aufzuregen und uns den Tag zu versauen! Selbst Oma will nichts mehr mit die zu tun haben. Also, entweder du benimmst dich, oder du siehst Oma nie mehr wieder! Hast du verstanden! Und du kommst nicht mit zu unserem gemeinsamen Spaziergang!" Lily erschrak. Sowas hatte sie echt nicht von ihrer Mutter erwartet. Aber tief im Inneren wusste sie, dass diese Recht hatte. In letzter Zeit war Lily ganz schön frech und fand gefallen daran, ihre Oma und Mutter wüten zu sehen. Sie muss sich am Riemen reißen, jetzt oder nie! Leise verließ sie eine Stunde später den Raum. Mama folgte ihr die Treppe hinauf. Oma schlief schon, obwohl es gar nicht mal so spät war. "Was soll ich jetzt tun? Ich will den kurzen Aufenthalt in Omas Haus so schön wie möglich gestalten. So wie es mir gefällt", dachte Lily und auf ihrem Gesicht breitete sich ein schelmisches Grinsen aus. Wo war eigentlich Mama. Lily drehte sich um und stellte fest, dass sie allein war. Die Luft ist Rein! Schnell tappte sie auf den Dachboden. Die alte Treppe quietschte und ächzte unter ihren Schritten, doch überraschenderweise broch sie nicht zusammen. Außer Mama hielt sich niemand tagsüber auf dem Dachgeschoss auf- ein echtes Geheimversteck! Man dürfte sie jetzt nur nicht ertappen, denn dieser Teil des Hauses war für Kinder tabu. Oma hatte vor Jahren sogar eine Absperrung aus Tesafilm errichtet, damit sich Lily nicht auf den Dachboden wagte und stolperte. Sie könnte sich ernsthaft verletzen! Als Lily noch klein war, lief sie mit ihrer Mama manchmal die alte Treppe hinauf und ihre Mutter zeigte ihr alte Familienalben und Spielzeuge, mit denen sogar noch Oma als Kind gespielt hatte! Wie aufregend! Inmitten der antiken Gegenstände, die für Lily wie geheimnisvolle Schätze wirkten, befanden sich sogar ein paar Katzenzähne. Aber Lily traute sich nie zu fragen, wo sie herkamen und wozu sie gut waren. Der Dachboden war ein geheimer Ort. Der einzige Ort, den ihre Familie vor ihr Geheim hielt. Ein Ort, der für die Kleine wie ein Wunderland vorkam. Auch an diesem Tag war ihr Drang unerklärlich groß, dieses dunkle, geheimnisvolle Versteck zu durchstöbern. Was Mama dazu sagen würde, war ihr in diesem Moment egal. Zufrieden und stolz auf ihren Mut kroch sie über den kalten Parkettboden und begann zu stöbern. Sie stöberte und stöberte, suchte und suchte. Wie aufregend das doch war! Alte Zeitschriften mit News aus den 30gern, wunderschöne, etwas ausgeblichene Familienfotos in kunstvollen Büchern... Stoffkatzen und jede Menge Katzenhaare- waren die echt? Vor Faszination und Fassungslosigkeit hatte das junge Mädchen das Gefühl, in eine völlig neue Welt zu versinken. In eine Welt der Nostalgie und Gelassenheit.