Ein Herbsttag

Herbst: Ein spontanes Essay von Earl Sheldy Nelson Drom

Es ist ein lauer Herbsttag. Blätter wehen durch meine Wohnung. Draußen regnet es wie in Strömen, aber das beunruhigt mich nicht, schließlich bin ich drinnen in der Wärme. Obwohl, neblig ist es hier ja schon. Und es fallen Kastanien von der Decke. Draußen ist es weniger neblig, sodass ich die leuchtenden Farben der Herbstblätter sehen kann. Meine Herbstblätter hier drinnen auf dem Boden sind schon etwas trocken und verdorrt - es knistert schön, wenn ich mit meinen Füßen über sie gehe. Ich glaube, im großen Laubhaufen in der Ecke ist eine Maus eingezogen. Noch ein Blick aus dem Fenster - Mann, was bin ich froh, dass ich hier drinnen bin und nicht da draußen sein muss. Gemütlich ist das Prasseln des Regens auf meiner Fensterscheibe auch noch. Ich liege auf meinem Sessel unter meiner Kuscheldecke, eine Tasse heißen Chai in der Hand (Der indische Kurator hat ihn mir gestern geschenkt, sehr höflich, die Teemischung macht sich gut in meiner Sammlung) und ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß. Vielleicht sollte ich der Maus ein Stück Käse hinlegen... Eine Kastanie fällt von der Decke auf mein Buch! Da habe ich wohl Glück gehabt, sie hätte auch meinen Kopf treffen können. Vielleicht sollte ich diesen sowieso schützen, solange hier die Kastanien fallen... nur leider zähle ich einen Helm á la Mittelalter (und das ist ein großer, großer Begriff!), wie ihn der Stil vorschreiben würde, nicht zu meinem Haushalt. Na gut, der Kochtopf meiner Oma wird es wohl auch tun. Jedenfalls stoße ich die Kastanie von den Seiten meines schönen Buches. Als sie auf den Boden fällt, zerspringt sie. Hoppla. Doch aus den Überresten der Kastanie steigt ein Blätterling auf. Einen Blätterling, den muss man sich im Grunde wie einen Schmetterling vorstellen - nur dass seine Flügel eben Herbstblätter sind und sein Korpus auch eher an einen Stock erinnert. Ich lasse meine Tasse (auf ihr ist Snoopy vor einem gleichmäßigen Häkelmuster zu sehen, sie zählt zu meinen Lieblingstassen) sinken und beobachte die Flugbahn des Blätterlings. So also entstehen diese seltenen Tiere: aus fallenden Kastanien. Ein weiteres Rätsel der Biologie ganz ohne aktives Zutun gelöst. Das werde ich meinen Freunden in Cambridge schreiben müssen, die sich auch schon seit längerem mit dem Thema befassen. Nur nicht jetzt - heute, so habe ich es mir vorgenommen, tue ich nichts. Der Blätterling steuert auf meine schummrige Deckenlampe zu, die den Raum in ein angenehmes Licht taucht. Als er auf ihrer Glühbirne landen will, verbrennt sich der junge Blätterling, und seine aschenförmigen Überreste segeln vor meinen Augen langsam zu Boden. Ich blinzele. Hm, vielleicht macht er auch so ein ganz gutes Exponat in meiner entomologischen Sammlung her... ich lege vorsichtig mein Buch zu meiner Tasse auf den Beistelltisch neben meinem Sessel, befreie mich von der Decke und stehe auf. Gerade, als ich den halben Raum durchquert habe und mich zum ehemaligen Blätterling herunterbeugen möchte, huscht ein graues Fellknäuel über meinen Boden. Ehe ich realisiere, was hier geschieht, hat die Maus die Überreste des Blätterlings in ihrem Schnabel gepackt (auch interessant, bisher hatte ich mir noch keine Maus genau genug angeguckt, um zu realisieren, dass sie Schnäbel haben!) und ist mit ihm wieder in ihrem Laubhaufen verschwunden. Wusste ich doch, dass ich sie dort rascheln gehört hatte. Dass sie hier ein Habitat gefunden hatte, war ja schön und gut, aber es musste auch gewisse Regeln des Zusammenlebens geben. Und meine Ruhe an einem lauen Herbsttag durfte so eine dahergelaufene Maus sicherlich nicht zerstören, dessen seid euch gewiss! Ich trete also schnellen Schritts an den Laubhaufen heran, um ihn mit meinem Fuß zu durchwühlen. Als genug Blätter beiseite befördert sind, erblickte ich die Maus. Sie sitzt dort im Laub, auf einem Nest von Herbstblättern, und füttert - Donnerwetter! - drei kleine Mäuseriche mit dem Blätterling aus ihrem Schnabel. Daher wehte also der Wind... nicht nur eine Maus, sondern gleich eine ganze Mäusefamilie hatte sich bei mir eingenistet. Zwar bin ich Tierfreund, aber auch diese Freundschaft kannte Grenzen. Fibonacci schon lehrte uns, dass eine erst klein erscheinende Population doch rasant wachsen konnte, wenn man sie nicht im Zaume hielt. Und so tut es mir zwar im Herzen weh, doch ich gehe in die Knie und greife nach der Maus. Was ich nicht mit einberechnet hatte: Der Maus passte es wohl so garnicht, gegriffen zu werden. Sie und ihre drei Jungen stieben piepsend in alle Himmelsrichtungen auseinander. Ich mache, dass ich der größten hinterherkomme, doch mehr durch Glück als durch Geschick gewinnt sie dieses Rennen, denn ich stolpere, oh Unglück, über meinen Teppich und lande der Länge nach auf dem Boden. Als ich mich aufrapple ist von den Mäusen nichts mehr zu sehen. Ich reibe mir den Kopf. Nein, durch pure Schnelligkeit ist den Viechern wohl kaum beizukommen - Da ist List gefragt!

Kommentare (10)

Vier Minuten und einen Tee später komme ich aus der Küche zurück, in der Hand eine Packung meiner Lieblingskekse und bereit, ein großes Opfer zu erbringen. Im Laubhaufen ist es auffallend still, doch davon lasse ich mich nicht täuschen. Ich greife nach ein paar Keksen, zerdrücke sie in der Hand und lasse vom Laubhaufen her eine Spur Krümel bis zu meinem Fenster fallen. Dann ziehe ich mich zurück und warte. Und tatsächlich, weniger als eine Minute später taucht die Maus mitsamt Nachwuchs wieder auf. Sie piepst, sieht sich um, und beginnt der Spur zu folgen. Ich wage nicht, mich zu rühren, und warte, bis sie alle drei auf dem Fensterbrett vor dem geöffneten Fenster sind. Dann bin ich mit einem Satz bei ihnen und schlage zu. Mit dem Buch fege ich die vier Mäuse vom Fensterbrett hinunter. Ich höre sie noch quietschen, während sie fallen. Ich wohne im dritten Stockwerk. Das parasitäre Problem sollte ich als erledigt betrachten. Unten flucht ein Passant, als ihm die Mäuse auf den Regenschirm, in die Kapuze und in den Kragen fallen. Ich nehme es ihm nicht übel, ich hätte bei so einem Sauwetter auch schlechte Laune - wäre ich denn da draußen und nicht hier drinnen in meinem warmen, gemütlichen Domizil. Ich lehne mich zufrieden ans Fenster und blicke nach draußen. Mittlerweile hagelt es, es hagelt Hunde und Katzen - im metaphorischen Sinne. Aber diese Hagelkörner, meine Herren - so groß wie Straußeneier! Doch durch den Sturm sehe ich immer noch dort in den Baumkronen das Gold des Herbstes, auf dem Boden die Pilze, Kastanien und Tannenzapfen, in der Luft der Regen, die letzten Sonnenstrahlen des Jahres und die Melancholie. So versinke ich in der Betrachtung dieser schönsten aller Jahreszeiten, in der der Sommerkönig in seinen Hallen altert und sein Leben langsam und wunderschön vergeht, während der Winterriese unter seinem Berg im Schlafe unruhig wird. Doch da fliegt ein Rabe durch mein Fenster hinein, unerwartet und selbstbestimmt. Der Vogel lässt sich auf meiner Sessellehne nieder, schüttelt sein Gefieder aus und sieht sich um. Diese Tiere sind unheimlich intelligent - sicher wusste er, welche Gemütlichkeit er hier zu erwarten hatte. Und trotz meiner Melancholie brachte er dahin mich, dass ich lachte,
So gesetzt und gravitätisch herrscht’ auf meiner Sessellehne er.
„Ob auch alt und nah dem Grabe,“ sprach ich, „bist kein feiger Knabe,
Grimmer, glatt geschor’ner Rabe, der Du kamst vom Schattenheer –
Sprich, welch’ stolzen Namen führst Du in dem Herbstnachmittag?“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr.“ Dieses Wort nur sprach der Rabe dumpf und hohl, wie aus dem Grabe als ob seine ganze Seele in dem einen Worte wär’. Weiter Nichts ward dann gesprochen, nur mein Herz noch hört’ ich pochen, Bis das Schweigen ich gebrochen: „Andre Freunde floh’n seither – Morgen wird auch er mich fliehen, wie die Hoffnung floh seither.“ Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“ Ein unheimlicher Geselle ist er, dieser Rabe. Ich sehe davon ab, das Fenster zu schließen; diese Wesen sollte man kommen und gehen lassen, wie es ihnen beliebt. Doch kalt war mir dadurch schon, nun, da der Herbstwind in mein gemütliches Wohnzimmer weht, die Blätter aufwirbelt, die Kastanien an der Decke schüttelt und die Seiten meines Buches umblättert. So greife ich schnell zur Kuscheldecke und vergrabe mich unter ihr auf meinem Sessel. Den Raben beachte ich nicht weiter, er scheint ganz glücklich, wie er dort sitzt. Als ich schließlich aufstehe, um mir neue Kekse zu holen, flattert er so abrupt weg und aus dem Fenster fort, wie er gekommen ist. Naja, etwas schade ist es ja schon, aber jetzt kann ich wenigstens das Fenster wieder schließen. In der Küche bemerke ich den massiven Kürbis, der auf dem Küchentisch wächst. Ich könnte schwören, dass der gestern noch nicht da war.

Danke für eure Aufmerksamkeit, wenn ihr wollt, gebt mir ein Thema für das nächste Essay.

schöne Geschichte

Mir gefällt die Geschichte, aber bei manchen Details frage ich mich, wie du da drauf kommst ^^

Sheldyndrom

Danke für eure Aufmerksamkeit, wenn ihr wollt, gebt mir ein Thema für das nächste Essay.

Eine Fortsetzung von diesem Teil vielleicht

Slay_Creed

Mir gefällt die Geschichte, aber bei manchen Details frage ich mich, wie du da drauf kommst ^^

Ich habe heute morgen Klassik-Radio gehört und da ist meine Fantasie etwas mit mir durchgegangen ^^

Sheldyndrom

Ich habe heute morgen Klassik-Radio gehört und da ist meine Fantasie etwas mit mir durchgegangen ^^

du hast viel Fantasie

Sheldyndrom

Vier Minuten und einen Tee später komme ich aus der Küche zurück, in der Hand eine Packung meiner Lieblingskekse und bereit, ein großes Opfer zu erbringen. Im Laubhaufen ist es auffallend still, doch davon lasse ich mich nicht täuschen. Ich greife nach ein paar Keksen, zerdrücke sie in der Hand und lasse vom Laubhaufen her eine Spur Krümel bis zu meinem Fenster fallen. Dann ziehe ich mich zurück und warte. Und tatsächlich, weniger als eine Minute später taucht die Maus mitsamt Nachwuchs wieder auf. Sie piepst, sieht sich um, und beginnt der Spur zu folgen. Ich wage nicht, mich zu rühren, und warte, bis sie alle drei auf dem Fensterbrett vor dem geöffneten Fenster sind. Dann bin ich mit einem Satz bei ihnen und schlage zu. Mit dem Buch fege ich die vier Mäuse vom Fensterbrett hinunter. Ich höre sie noch quietschen, während sie fallen. Ich wohne im dritten Stockwerk. Das parasitäre Problem sollte ich als erledigt betrachten. Unten flucht ein Passant, als ihm die Mäuse auf den Regenschirm, in die Kapuze und in den Kragen fallen. Ich nehme es ihm nicht übel, ich hätte bei so einem Sauwetter auch schlechte Laune - wäre ich denn da draußen und nicht hier drinnen in meinem warmen, gemütlichen Domizil. Ich lehne mich zufrieden ans Fenster und blicke nach draußen. Mittlerweile hagelt es, es hagelt Hunde und Katzen - im metaphorischen Sinne. Aber diese Hagelkörner, meine Herren - so groß wie Straußeneier! Doch durch den Sturm sehe ich immer noch dort in den Baumkronen das Gold des Herbstes, auf dem Boden die Pilze, Kastanien und Tannenzapfen, in der Luft der Regen, die letzten Sonnenstrahlen des Jahres und die Melancholie. So versinke ich in der Betrachtung dieser schönsten aller Jahreszeiten, in der der Sommerkönig in seinen Hallen altert und sein Leben langsam und wunderschön vergeht, während der Winterriese unter seinem Berg im Schlafe unruhig wird. Doch da fliegt ein Rabe durch mein Fenster hinein, unerwartet und selbstbestimmt. Der Vogel lässt sich auf meiner Sessellehne nieder, schüttelt sein Gefieder aus und sieht sich um. Diese Tiere sind unheimlich intelligent - sicher wusste er, welche Gemütlichkeit er hier zu erwarten hatte. Und trotz meiner Melancholie brachte er dahin mich, dass ich lachte,
So gesetzt und gravitätisch herrscht’ auf meiner Sessellehne er.
„Ob auch alt und nah dem Grabe,“ sprach ich, „bist kein feiger Knabe,
Grimmer, glatt geschor’ner Rabe, der Du kamst vom Schattenheer –
Sprich, welch’ stolzen Namen führst Du in dem Herbstnachmittag?“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr.“ Dieses Wort nur sprach der Rabe dumpf und hohl, wie aus dem Grabe als ob seine ganze Seele in dem einen Worte wär’. Weiter Nichts ward dann gesprochen, nur mein Herz noch hört’ ich pochen, Bis das Schweigen ich gebrochen: „Andre Freunde floh’n seither – Morgen wird auch er mich fliehen, wie die Hoffnung floh seither.“ Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“ Ein unheimlicher Geselle ist er, dieser Rabe. Ich sehe davon ab, das Fenster zu schließen; diese Wesen sollte man kommen und gehen lassen, wie es ihnen beliebt. Doch kalt war mir dadurch schon, nun, da der Herbstwind in mein gemütliches Wohnzimmer weht, die Blätter aufwirbelt, die Kastanien an der Decke schüttelt und die Seiten meines Buches umblättert. So greife ich schnell zur Kuscheldecke und vergrabe mich unter ihr auf meinem Sessel. Den Raben beachte ich nicht weiter, er scheint ganz glücklich, wie er dort sitzt. Als ich schließlich aufstehe, um mir neue Kekse zu holen, flattert er so abrupt weg und aus dem Fenster fort, wie er gekommen ist. Naja, etwas schade ist es ja schon, aber jetzt kann ich wenigstens das Fenster wieder schließen. In der Küche bemerke ich den massiven Kürbis, der auf dem Küchentisch wächst. Ich könnte schwören, dass der gestern noch nicht da war.

Sheldy begeht Tierquälerei....