Der Lord der Raben

Der Lord der Raben

In einem geheimnisvollen Königreich, verborgen zwischen hohen Bergen und nebelverhangenen Wäldern, lag das verlassene Schloss von Eldergrove. Einst war es die Residenz eines mächtigen Lordes, dessen Name längst in Vergessenheit geraten war. Nur die Raben, die unaufhörlich über den zerfallenen Mauern kreisten, schienen die Geheimnisse seiner Herrschaft zu bewahren. Man nannte ihn den Lord der Raben.

Die Legende besagte, dass der Lord über die dunklen Künste gebietet und die Fähigkeit hatte, die Schatten zu befehligen. Es hieß, dass das Schloss von einem Fluch befallen war; jeder, der den mutigen Schritt wagte, einzutreten, würde nie wieder gesehen werden.

Eines stürmischen Abends, als der Wind durch die Bäume heulte und der Regen gegen die Fenster prasselte, näherte sich eine junge Frau namens Elara dem Schloss. Sie war auf der Suche nach ihrem vermissten Bruder, der schon lange von den Dorfbewohnern als tot geglaubt wurde. Ihre Liebe und Entschlossenheit führten sie zu den düsteren Legenden der Region, und sie war bereit, das Risiko einzugehen.

Das Holz der großen Eingangstüren war morsch, als sie sie mit aller Kraft aufdrückte. Ein kalter Hauch umhüllte sie, und das Flüstern der Raben klang wie ein Warnruf in ihrem Ohr. Doch Elara war unerschrocken. „Ich komme, um die Wahrheit zu finden!“, rief sie in die Dunkelheit.

Im Inneren des Schlosses war es finster und voller Staub. Die Wände waren von Spinnenweben umhüllt, und der Geruch der Zeit, die stillstand, lag in der Luft. Doch Elara war nicht allein. Schatten bewegten sich um sie, und die Raben leiteten ihren Pfad, als sie durch die hallenden Hallen schritt. An einer großen Treppe fiel ihr Blick auf ein Gesicht, das in einem alten Gemälde gefangen war: der Lord der Raben, mit durchdringenden Augen und einem geheimnisvollen Lächeln.

Plötzlich ertönte ein tiefes, raues Lachen, das durch die Räume widerhallte. „Wer wagt es, in mein Reich einzudringen?“, ertönte eine Stimme, die wie Donner durch die Luft schnitt. Vor Elara materialisierte sich der Lord, in einen langen, dunklen Umhang gehüllt, umringt von einer Schar Raben, die sich auf seinen Schultern niederließen.

„Ich suche meinen Bruder!“, rief Elara mutig. „Wo ist er?“

Der Lord der Raben lächelte geheimnisvoll. „Manche suchen Antworten, andere Macht. Doch nur die Mutigen finden, was sie wirklich suchen.“ Er streckte die Hand aus, und die Raben flogen in einen Wirbel aus schwarzem Federn. Aus dem Wirbel erschien ein Bild von Elara’s Bruder, gefangen in einem Raum voller Schatten. Der Anblick brachte ihr Herz zum Rasen.

„Wenn du ihn retten willst, musst du die Prüfung bestehen“, forderte der Lord sie heraus. Elara nickte, obwohl sie die Angst in ihrer Brust spüren konnte. „Ich bin bereit.“

Der Lord führte sie in einen inneren Raum, in dem es dunkel und kalt war. „Hier wirst du dich deinen Ängsten stellen. Nur dann kannst du ihm helfen.“ Die Schatten um sie begannen zu flüstern, und Erinnerungen an ihre größten Ängste – den Verlust, das Versagen und die Einsamkeit – stiegen empor. Doch Elara gab nicht auf. Sie erinnerte sich an die glücklichen Zeiten mit ihrem Bruder, an das Lachen und die unvergesslichen Momente. Die Liebe, die sie für ihn empfand, gab ihr die Kraft, die Dunkelheit zu durchbrechen.

Mit einem letzten Schrei der Entschlossenheit, verwandelte Elara die Schatten in Licht, und der Raum erstrahlte in goldenem Glanz. Der Lord der Raben beobachtete sie mit bewundernden Augen. „Du hast das Unmögliche vollbracht. Dein Mut und dein Glauben haben gesiegt.“

In diesem Moment öffnete sich ein schimmerndes Tor, und ihr Bruder trat heraus, verwirrt, aber lebendig. Elara rannte zu ihm und umarmte ihn fest. Der Lord trat näher und sprach mit sanfter Stimme: „Du bist stark, Elara. Die Raben werden dich immer begleiten, auch wenn du das Königreich verlässt.“